Pubertät bei Hunden - eine grosse Herausforderung für den Halter

Pubertät bei Hunden – auch Rüden sind «läufig»

Kaum eine andere Lebensphase ringt betroffenen Individuen und ihrer Umwelt so viel Nerven ab wie die der Pubertät. Viele Hunde landen in dieser Zeit beim Tierarzt zur Kastration, andere im Tierheim. Der Grund sind überforderte Hundehalter, die sich nicht mehr zu helfen wissen und oft schon «alles ausprobiert» haben. Führt dieses Ausmass an praktizierten Methoden dann zu Abwehrreaktionen seitens des Hundes, kann es passieren, dass dieser gar euthanasiert wird.

Text: Ingrid Blum   Titelbild: DoraZett/stock.adobe.com

 

Pubertät bei Jungrüden fordert den Halter

Gestern klappte alles noch super und heute? Die Ohren auf «Durchzug» gestellt jagt der junge Hund in rasantem Tempo hinter der noch schnelleren Hündin her – der nun einsame Hundebesitzer schreit lauthals am Feldrand nach seinem immer kleiner scheinenden Vierbeiner. Ein ungutes Gefühl der Hilflosigkeit beschleicht ihn und gleich darauf folgt die Wut im Bauch. Von der Situation überfordert läuft der einsame Hundefreund ärgerlich in Richtung seines entschwundenen Hundes. In seinen Gedanken kommt er zum Schluss, dass er gegen diese schlechten Gefühle dringend etwas tun muss. Nach einer empfundenen Ewigkeit kehrt ein fröhlicher, zwar etwas kurzatmiger Jungrüde in leichtem Trab zu seinem sprachlosen Menschen zurück. Dieser beantwortet die Rückkehr mit dem Einhaken der Leine. Ende der Freiheit.

 

Plötzliches aggressives Verhalten bei Junghunden

Die Dame kann ihren grossen Hund, der sich wild bellend lediglich auf den Hinterbeinen in die Leine stemmt, kaum halten. Der ruhig entgegenkommende Artgenosse scheint Auslöser dieser spektakulären Szene zu sein. Dessen Halterin hat nur ein ärgerliches: «Was für ein aggressiver Hund! Gehen Sie mal in die Hundeschule mit diesem Köter!» für die Situation übrig. Bereits das plötzlich auftretende Verhalten ihres eigenen Junghundes beschert der Dame Wallungen, auf die «nette» Bemerkung hätte sie zudem glatt verzichten können. Was ist geschehen, gestern war alles noch anders? Da konnte sie problemlos an jedem anderen Hund vorbeilaufen. Und jetzt? Der Hund wird ausgeschimpft und ignoriert. Ende der Diskussion.

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Bekannte unbekannte «Feinde»

Wie immer beim Eindunkeln dreht das Ehepaar mit seinem jungen Kleinhund die letzte Versäuberungsrunde. Auf dem Rückweg sträuben sich plötzlich die Haare des Hundes, er bleibt wie angewurzelt stehen und bellt wie verrückt. Seine Rute ist eingeklemmt, die Ohren sind nach vorne gerichtet. Das Paar sucht nach etwas Unbestimmtem ... doch da steht lediglich die Mülltonne, die sie bereits beim Weggehen passiert hatten – ohne Gebell des Hundes. Aus einem Fenster ruft jemand: «Ruhe!». Den Hun­de­besitzern ist das peinlich. Der Hund wird hochgehoben, mit «psssscht» beruhigt und dann geht man ins Haus. Ende des Theaters.

…und schon ist die Hündin weg

Der Hund steht allein auf dem Feldweg, die junge Frau rennt in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt schaut sie sich kurz um und nun läuft der Hund ebenfalls los, aber in die andere Richtung als seine Besitzerin. Die Frau hat gelernt, dass sie in die andere Richtung laufen soll, wenn ihr Hund nicht kommt, wenn sie ihn ruft. Tja, das hat ja nicht funktioniert. Jetzt läuft sie ihrem Hund nach, weil sie Angst hat, dass etwas passieren könnte. Die Hündin ist elf Monate alt und steht kurz vor ihrer ersten Läufigkeit. Die junge Frau kann sie später beim Bauernhof, in vertrautem Beschnupperungsritual mit dem Hofhund ertappen. Ende der Liebelei.

Hunde von Sinnen

Der agile junge Hütehund läuft, wie er dies gelernt hat, auf Höhe seines Besitzers und trägt im Fang einen roten Ball. Wie immer geht er, auch an nicht stark befahrenen Strassen, ohne Leine mit. Plötzlich rast der Hund los und hetzt hinter dem langsam fahrenden Auto her, immer in die Pneus schnappend. Sein Besitzer ruft den Hund zwar, doch dieser scheint wie von Sinnen. Erst als der Autofahrer anhält, kann der Hund angeleint werden. Ende der Jagd.

Aufforderung zum Duell

Unglaublich interessiert schnüffelt die junge Hündin aus dem Süden an verschiedenen Gräsern, steckt die Nase in die Luft und wieder ins Gebüsch, blinzelt keck ins Sonnenlicht und ihre neue Besitzerin ist glücklich, dass sich die Hündin so interessiert zeigt, nach all den Strapazen, die sie durchmachen musste. Doch eine Sekunde später sprintet die sanfte Hündin hinter der Katze her und es scheint, als wäre dies ein Wettlauf ... stünde da nicht ein rettender Baum. Enttäuschung macht sich bei der Besitzerin breit, denn dieses Verhalten entspricht nicht der erwarteten Dankbarkeit seitens der geretteten Hündin. Nichts wie hin an den Baum, Hund anleinen und schmollen. Ende der Durchsage.

Rüden machen eine ebenso starke hormonelle Veränderung durch wie Hündinnen, sind sozusagen auch «läufig» und «spinnen».

Viele «gute» Ratschläge

Was ist nur los? Gerade hatte man den Welpen über den Zahnwechsel begleitet und es lief echt gut bis eben jetzt. Man fragt sich bei anderen Hundehaltern durch und stellt fest, dass fast jeder die oben geschilderten Situationen so oder so ähnlich «am eigenen Leibe» erfahren musste. Natürlich möchte man nun die guten Tipps, die anscheinend geholfen haben, umsetzen. Denn diese Schmach will man nicht noch einmal aushalten müssen. Zudem sind die Hunde der Befragten ja doch sichtlich vernünftiger als der eigene Jungspund. Würde man allerdings das Alter der beiden Hunde vergleichen, wäre dies in manchem Fall enthüllend und das AHA-Erlebnis perfekt. Sie dauert nicht ewig, die Pubertät! Die anderen Hunde sind da mittlerweile fein raus.

Die verschiedenen Tipps werden nun am Hund ausprobiert. Es werden Gartenschlauchteile, Wasserpistolen, Erziehungsgeschirre, Kopfhalfter, Sprühhalsbänder, Wurfketten, Discs und vieles andere mehr gekauft sowie Rappelbüchsen gebastelt. Ziel des Hundehalters ist es, den Hund schnell von seinen Flausen zu befreien und wieder Harmonie herzustellen, genauso wie sie zur Welpenzeit geherrscht hat. Das Gefühl der Hilflosigkeit soll mit handfester Ausrüstung beendet werden.

Der pubertäre Hund verliert Vertrauen

Der pubertäre Hund, der selbst nicht weiss, was mit ihm momentan geschieht, bekommt nun eine besondere Art der Behandlung durch seinen vertrauten Menschen zu spüren. Vieles, was dann ausprobiert wird, schmerzt, löst Angst aus, ist unangenehm und irritiert den Vierbeiner völlig, was der Mensch dann zufrieden als Wirkung seiner Handlung einstuft. In Wahrheit verliert der Hund mit jedem Versuch mehr und mehr an Vertrauen, wird unsicher und fängt möglicherweise an, sich gegen seinen Halter zu wehren.Im eigenen Frust über diese nicht beeinflussbare Situation wird manch ein Junghund aggressiver reagieren oder in sich selbst abtauchen, überhaupt nicht mehr hören oder den Besitzer meiden wollen. Verhaltensweisen können auftreten, die aus reiner Verzweiflung entstehen und wieder neues Unverständnis seitens des Hundehalters hervorrufen.

Die Suche nach schnellen «Lösungen»

Dies ist der Punkt, an dem viele Hundehalter gleichzeitig unterschiedliche Hundeschulen besuchen. Man sucht nach schnellen Lösungen, greift nach jedem Strohhalm. Dann werden verschiedene Ausbildungsmethoden wild durcheinandergemixt und kaum jemand fragt sich, ob der Trainer oder die Trainerin überhaupt eine fundierte Ausbildung vorweisen kann respektive ob er oder sie weiss, wie ein Hund lernt und warum und was genau in der Pubertät mit ihm geschieht. So liefert die einzig vertraute Bezugsperson den Hund an einen wildfremden Menschen aus, der die Leine übernimmt und dann «mal kurz zeigt, wie das geht». Der Hund kann sich nicht wehren. Tut er es dennoch und möchte sich befreien, wird dieses Verhalten gleich wieder als Ungehorsam taxiert und dem Hund blüht unter Umständen noch viel Schlimmeres, als das, was momentan gerade abläuft. Gewalt wird in dieser Phase des Hundelebens von Unwissenden leider immer wieder selbstgefällig eingesetzt und von Hundehaltern geduldet und weiterpraktiziert.

hundetreffen pubertäre Hunde

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Weniger ist mehr – einfach «da sein» für den Hund ist bindend

Dass diese Tatsachen dazu führen können, dass sich der Hund von seinem Menschen abwendet, ist vielen leider nicht bewusst. Das Herumpröbeln geschieht an einem fühlenden, denkenden, (noch) seinem Menschen vertrauenden Lebewesen, welches aus diesen Erlebnissen seine eigenen Schlüsse zieht. Hier geht es nicht um den Anstrich einer Wand, die statt gelb doch eher blau besser wirkt und problemlos übermalt werden kann.

Oft ist es die bereits schon beachtliche Grösse des pubertierenden Hundes, welche Unwissenden das Gefühl vermittelt, der Vierbeiner sollte schon dies und das perfekt können. Doch genau hier sollten Hundehalter mehr Gespür für ihren Hund entwickeln. Je nach Rasse variiert das Alter, in welchem die Pubertät durchlebt wird, enorm. Grosse Rassen sind auch oft Spätentwickler. So sieht es natürlich unglaublich gefährlich aus, wenn sich ein grosser Hund auf die Hinterbeine stellt und lauthals bellend einen Artgenossen «begrüsst», gestresst und frustriert ist, weil er an der Leine festgemacht ist. Das gleiche Bild sieht bei manchem Kleinhund sogar noch niedlich aus!

In dieser sensiblen Phase ist es ratsam, weniger zu tun. Es läuft bereits genügend Irritierendes im Hundekörper ab, was enormen Stress verursacht. Hilfesuchende bekommen oft den Rat, mehr mit dem Hund zu arbeiten oder neue Sportarten zu beginnen.

Um sich mit neuen Situationen und Veränderungen im Körper auseinanderzusetzen und diese auch verarbeiten zu können, braucht es weniger Ablenkung und Action anstatt mehr. Präsenz, klare Leitplanken, Verlässlichkeit, Geduld und Liebe sind seitens des Menschen als Sicherheitsanker zur Selbstfindung der Hundepersönlichkeit gefragt.

Auch Rüden sind «läufig»

Die Hündin kann, je nach Individuum, im Alter von ca. sechs Monaten läufig werden. Oft kommen Hündinnen mit dieser ersten Veränderung nicht ganz klar, andere hingegen laufen bereits auf der Suche nach einem männlichen Partner weiter weg und geben dem Wort Läufigkeit seine Bedeutung. Der Hundehalter führt in diesen drei Wochen seine Hündin an der Leine aus und meidet die stark frequentierten Hundewege. Die Hündin bekommt so zwar momentan weniger Kontakt mit Artgenossen, kann sich aber auch besser auf die hormonellen Vorgänge im Körper einlassen. Hündinnen können in dieser Zeit recht zickig werden und ihre besten Freundinnen abschnappen.

Und die Rüden? Von ihnen erwartet man in der Regel, dass sie sich immer freundlich mit Artgenossen vertragen, denn aggressives Verhalten ist unerwünscht. Man spaziert aber genau dort, wo man immer spazieren ging, geht gewissen Situationen nicht aus dem Weg und bietet den bekannten Hundebesitzern ein Bild der hoffnungslosen Überforderung, weil der freundliche Hund von gestern sich heute wie ein Irrer gebärdet. Rüden machen eine ebenso starke hormonelle Veränderung durch wie Hündinnen, sind sozusagen auch «läufig» und «spinnen».

Manch einem Rüden könnte über diese Zeit besser geholfen werden, wenn er sich mit weniger Konkurrenten auseinandersetzen müsste anstatt ständig für sein aufbrausendes Temperament gegängelt zu werden. Die Kastration ist dafür kein Heilmittel. Oft werden Hunde dadurch in der aktuellen Verhaltenssituation regelrecht «eingefroren». Kastration kann auch zur Verschlimmerung des Verhaltens führen. Die Entscheidung sollte also sehr genau überprüft werden, da man heute sehr viel mehr über die Folgen eines solchen Eingriffs gerade während der schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens weiss.

In der Pubertätsphase finden wichtige Lernprozesse statt, die besonders nachhaltige Wirkung haben. Rüden und Hündinnen lernen, sich sexuell zu definieren. Verschiedene Angst- und Fremdelphasen machen diese Zeit nochmals schwieriger. Als Hundehalter soll man die pubertären Verhaltensweisen seines Hundes nicht als persönlichen Angriff oder als Niederlage der bisherigen Erzie­hungsbemühungen einstufen. Hormone, geruchliche Neuorientierung, Neuordnung im Gehirn sowie die Neufindung der eigenen Identität spielen in dieser Zeit die vorrangigen Rollen für den Vierbeiner.

Was oft als «der testet, wer der Boss ist» ausgelegt wird, geht auf die Überprüfung der bisher entstandenen Verschaltungen im Gehirn zurück. In der Pubertät wächst das Gehirn nicht mehr, dafür werden nun unnütze, überflüssige oder hinderliche Verbindungen entfernt. Es wird quasi aufgeräumt.

Es sollte uns eine positive Herausforderung sein, unserem pubertären Hund zu helfen, indem wir ihm Stabilität vermitteln, damit er letztlich wichtige Verbindungen im Gehirn festigt anstatt löscht.

Buchtipp

Kastration und Verhalten beim Hund

von Sophie Strodtbeck und Udo Ganslosser
Verlag Müller Rüschlikon