hund mit erbkrankheit

Erbkrankheiten bei Haustieren

Liegt eine genetische Veränderung in den Keimzellen (Eizellen oder Spermien) vor, handelt es sich um eine Erbkrankheit und kann an die Nachkommen weitergegeben werden.

Text: Dr. med. vet. Danya Wiederkehr   Titelbild: gismo2015/stock.adobe.com

Ist die Ursache einer Krankheit eine Genmutation der betroffenen Zelle – wie zum Beispiel bei einem Tumor –, wird diese Krankheit nicht direkt vererbt. Die Veranlagung zur Entwicklung gewisser Tumoren kann aber vererbt werden. Es existieren darum viele Krankheiten, bei denen eine familiäre Tendenz vorhanden ist. Es wird also nur eine Veranlagung vererbt. Ob es zur Erkrankung kommt oder nicht, hängt von Lebensumständen und Umwelteinflüssen ab. Die Veranlagung kann aber (unabhängig, ob es zur Erkrankung kommt oder nicht) immer weitervererbt werden. Krankheiten, bei denen die Chromosomenzahl verändert ist, wie beispielsweise bei Trisomie 21 (Downsyndrom), entstehen zufällig. Sie gehören zwar zu den genetischen Krankheiten, nicht aber zu den Erbkrankheiten. Alles in allem sind genetische und vor allem Erbkrankheiten sehr komplex und häufig nicht vollständig verstanden. Zum besseren Verständnis nun eine kurze Exkursion in die Genetik und den Aufbau des Erbgutes des Säugetieres.

Genom

Das Genom bezeichnet die Gesamtheit der Erbinformation eines Individuums. Es ist aus DNA (Desoxyribonukleinsäure) aufgebaut, welche der Träger des Erbgutes ist. Die DNA besteht aus einem Phosphorgerüst und vier verschiedenen organischen Basen (Guanin, Cytosin, Thymin und Adenin), sie bilden eine sogenannte Doppelhelix. Jeweils drei aneinandergereihte Basen codieren für eine Aminosäure. Unterschiedlich lange Zusammensetzungen mehrerer Aminosäuren bilden dann verschiedene Proteine. Eine einzige veränderte Base ist eine Mutation und kann bereits zu einer Krankheit führen. Natürlich gibt es aber auch viele kompliziertere komplexe Mutationen. Das Genom einer einzelnen Zelle ist relativ lang (ca. 1,80 m beim Menschen) und wird deshalb im Zellkern «aufgewickelt». In Zellteilungsphasen kann man diese Aufwicklung in Form von Chromosomen sehen. Säugetiere besitzen einen doppelten Chromosomensatz. Bei der Vererbung bekommt man einen vom Vater und einen von der Mutter. Somit codieren auch immer zwei Gene mit für eine Eigenschaft. Gene haben unterschiedliche Ausprägungen. Eine mögliche Ausprägung eines Gens, das sich an einem bestimmten Ort auf einem Chromosom befindet, wird als Allel bezeichnet. Der Chromosomensatz besteht bei Säugetieren aus mehreren Autosomen (nicht Geschlechtschromosomen) und zwei Geschlechtschromosomen (X, Y).

Der Vererbungsprozess ist sehr komplex

Die Entstehung der Haarfarbe eignet sich gut für die Darstellung der Erbgänge und deren Komplexität. Informationen für eine Eigenschaft sind im menschlichen und tierischen Genom immer doppelt vorhanden. Im einfachsten Fall codiert ein einzelnes Gen auf einem Autosom die Haarfarbe. Die verschiedenen Haarfarben entstehen durch die Einlagerung der Farbpigmente Eumelanin (braun-schwarz) und Phäomelanin (rot). Es existiert daher ein Allel für Eumelanin und eines für Phäomelanin. Das Eumelanin-Allel ist dominant gegenüber dem rezessiven Phäomelanin-Allel. Um eine dunkle Haarfarbe zu erhalten, reicht ein alleiniges Eumelanin-Allel (Schwarz-Gen) aus, da dieses das gepaarte Phäomelanin-Allel (Blond-Gen) unterdrückt. Für die Haarfarbe blond braucht es aber zwingend zwei gepaarte Phäomelanin-Allele.

Nach der Vererbungslehre können Kinder eines blonden und eines dunkelhaarigen Elternteils daher zu 50 % blonde Haare haben, sofern das Allel auch beim dunkelhaarigen Elternteil vorliegt. Es ist auch möglich, dass Kinder zweier dunkelhaariger Menschen blond sind, vorausgesetzt diese tragen das «Blond»-Gen jeweils in unterdrückter Form. Zwei naturblonde Elternteile können aber keine dunkelhaarigen Kinder bekommen.

Die effektive Haarfarbe wird aber durch die Menge an produziertem Phäomelanin (Enzymaktivität) bestimmt. Je nachdem, wie stark die Aktivität des Phäomelanins unterdrückt wird, zeigt ein Mensch hellere oder dunklere Haare. Die Sonneneinstrahlung kann aber eine hellere Haarfarbe hervorbringen als genetisch codiert. Mit zunehmendem Alter verändert sich die Expression des «Blond»-Gens und die Haare werden dunkler. Schlussendlich nimmt auch die Produktion von Eumelanin ab, bis keine oder nur noch wenige Pigmente vorhanden sind, die Haare erscheinen dann grau oder weiss. Häufig ist demnach eine Kombination zwischen Umweltfaktoren und genetischen Ursprüngen verantwortlich für das Erscheinungsbild.

Der Erbgang Geschlechtschromosomen unterscheidet sich von den Autosomen. Da hier zwei ungleiche Chromosomen gepaart werden, können rezessiv vererbte Merkmale auch bei nur einem Allel auftreten. Das wohl berühmteste Beispiel ist Farbenblindheit. Die Krankheit wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Bekommt also ein Junge (X/Y) von der Mutter das X-Chromosom mit dem Defekt, entwickelt sich bei ihm die Krankheit. Ein Mädchen zeigt nur dann Farbenblindheit, wenn beide X-Chromosomen das veränderte Gen aufweisen.

Französische Bulldogge

Französische Bulldogge
Foto: tienuskin/stock.adobe.com

Erbkrankheiten

Vererbte Störungen werden hereditär (vererbt) oder teilweise auch angeboren (kongenital) genannt. Obwohl nicht jede angeborene Störung vererbt ist. Zur Krankheit kommt es, wie oben beschrieben, je nach Erbgang und Expression. Jede Erbkrankheit kann aber theoretisch auch durch Zufall aufgrund einer Veränderung der Gene ausgelöst werden. Dazu muss auf beiden gepaarten Allelen eine ähnliche Mutation stattfinden. Das Risiko, an einer bestimmten Krankheit zu erkranken, ist daher grösser, wenn man vererbterweise schon ein verändertes Allel trägt (Heterozygotie), weil dann nur noch das zweite mutieren muss.

Ausgewählte Beispiele von Erb- und genetischen Krankheiten

Erkrankungen des Herzmuskels = Kardiomyopathie

Erkrankungen des Herzmuskels sind bei allen Tieren bekannt. Teilweise sind sie durch Erreger wie Bakterien oder Viren verursacht, manchmal entstehen sie durch eine Minderdurchblutung der Herzkranzgefässe. Häufig ist die Ursache aber nicht ersichtlich.

Kardiomyopathien bei der Katze sind die am besten erforschten Herzkrankheiten der Haustiere. Im Unterschied zum Menschen sind die häufigsten Konsequenzen bei der Katze ein Thrombus. Dieser wandert dann bis zur Aufzweigung der Aorta im Becken und setzt sich dort fest (Sattelthrombus), sodass kein Blut mehr in die Hinterbeine flies­sen kann. Typisches Anzeichen ist ein Lahmgehen in einem oder beiden Hinterbeinen sowie das Erkalten der betroffenen Gliedmassen.

Aufgrund der morphologischen Veränderungen gibt es zwei verschiedene Herzkrankheiten:

  • Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM), Verdickung oder Vergrösserung des Herzmuskels
  • Dilatative Kardiomyopathie (DCM), Vergrösserung oder Ausdehnung der Herzkammer

Früher sind beide Formen bei Katzen häufiger vorgekommen. Heute weiss man, dass bei Fehlen der Aminosäure Taurin eine DCM bei Katzen entstehen kann. Taurin ist für Katzen essenziell. Der Körper kann sie nicht aus anderen Bausteinen herstellen und ist daher auf die Zufuhr von aus­sen angewiesen. Taurin wird heute jedem Fertigfutter beigegeben. Daher ist eine DCM bei Katzen heute selten anzutreffen. Die HCM kommt aber oft vor, mit einer Häufung bei Maine-Coon-Katzen, Sibirischen Waldkatzen und American Shorthair. Bei der Maine Coon und der American Shorthair ist eine autosomal-dominante (dominant und nicht auf den Sexualchromosomen liegend) Vererbung der Krankheit bekannt.

Auch bei Hunden kennt man vererbte Kardiomyopathien. Hier ist es aber vorwiegend die dilatative Form. Obwohl auch spekuliert wird, es könnte ebenfalls ein Taurin- oder aber Carnitinmangel Ursache sein, sind familiäre Tendenzen beobachtbar. Vor allem grosse Rassen tendieren zu Herzerkrankungen. Häufungen sind bekannt beim Dobermann Pinscher, beim English Cocker Spaniel, beim Boxer, bei der Dänischen Dogge, beim Irish Wolfhound, beim Portugiesischen Wasserhund und beim Neufundländer. Bei der Dänischen Dogge ist eine X-chromosomale, rezessive Vererbung vorhanden und beim Portugiesischen Wasserhund eine autosomal-rezessive Vererbung, die zu infantiler DCM führt. Die Canine X-chromosomale Muskeldystrophie (auch Duchenne-like Myopathy), die vorwiegend bei Golden Retriever und Kreuzungen vorkommt, kann ebenfalls zu Herzmuskelerkrankungen führen. Sie betrifft aber auch andere Muskelgruppen im Körper. Die Krankheit zerstört die Muskeln und ersetzt sie durch fibröses Gewebe.

Muskelerkrankungen

Neben der Caninen X-chromosomalen Muskeldystrophie gibt es noch andere Muskelerkrankungen, die vererbt werden können. Die Kongenitale Myastenia Gravis kommt bei Katzen und vor allem Hunden vor.
Bei dieser Erkrankung sind die Rezeptoren, die für die Weiterleitung der Nervenimpulse zum Muskel verantwortlich sind, nicht funktionstüchtig. Die Muskeln selber funktionieren, werden jedoch zu wenig oder nicht innerviert. Die Erkrankung ist autosomal-rezessiv vererbt bei Springer Spaniel,
Foxterrier, Jack Russel Terrier und dem Gammel Dansk  Honsehund. Kongenital bedeutet, dass die Krankheit schon bei Geburt vorhanden ist. Häufig wird sie aber erst etwas später sichtbar und ist progressiv, wird also mit zunehmendem Alter schlimmer. Betroffene Hunde sind bei der Geburt klinisch normal. Mit 5 bis 8 Wochen entwickeln sie die ersten Symptome wie Kollabieren beim Spielen oder Schwächeanfälle. Die Krankheit verläuft bei Spaniels, Foxterrier und Jack Russel Terrier progressiv. Häufig endet sie in komplettem Festliegen. Beim Gammel Dansk Honsehund tritt die Krankheit mit 12 bis 16 Wochen auf, verläuft aber nicht progressiv.

Boxer Colitis

Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine Krankheit, die vorwiegend bei Boxern vorkommt. Französische Bulldoggen können ebenfalls daran erkranken. Die Tiere entwickeln eine Dickdarmentzündung mit Bildung von Geschwüren. Im histologischen Schnitt (unter dem Mikroskop) sind in der Entzündung viele Fresszellen des Immunsystems (Makrophagen) sichtbar. In diesen Makrophagen sind Bläschen (Vakuolen) mit unbekanntem Material vorhanden. Dieses spezifische histologische Bild ist im Zusammenhang mit Dickdarmentzündung nur bei diesen Rassen bekannt. Der Erbgang ist nicht bekannt, aber es ist anzunehmen, dass es eine vererbte Veranlagung ist.

Hüftdysplasie

Eine der bekanntesten Erbkrankheiten beim Hund ist die Hüftdysplasie. Es betrifft vor allem Hunde grosser Rassen, kann aber bei allen Rassen vorkommen. Ähnliche Krankheitsbilder sind bei Katzen, Rindern und Pferden bekannt. Dabei handelt es sich um eine Inkongruenz der Hüftpfanne (Acetabulum) zum Oberschenkelkopf (Femurkopf), was in Luxation und Degeneration der Gelenksfläche endet. Diese Erkrankung basiert auf einer polygenetischen Vererbung, das heisst, es sind mehrere Gene involviert. Die Ausprägung der Krankheit ist aber stark beeinflusst durch Umweltfaktoren wie Fütterung und damit zusammenhängend Wachstumsrate sowie Bewegung und Gewicht. Die Hüftdysplasie ist normalerweise nicht vor 6 Monaten sichtbar und verhält sich progressiv. Die Diagnose wird durch Röntgen der Gelenke gemacht und es kann ein Schweregrad bestimmt werden. Um der Krankheit Herr zu werden, werden Rassenhunde mit Problemen kategorisiert, um dann nur mit HD-freien oder leichtgradig betroffenen Hunden zu züchten. Studien haben gezeigt, dass Hunderassen wie Greyhounds (die keine HD haben) generell mehr Muskelmasse um die Hüftgelenke herum aufweisen. Daher wurde spekuliert, dass eine Unterentwicklung der Hüftmuskulatur aufgrund eines nervalen Fehlers prädisponierend für HD sein könnte.