Schilddrüsenprobleme bei Hunden können zu Verhaltensstörungen führen

Schilddrüsenunterfunktion bei Hunden

Eine Schilddrüsenproblematik kann zu Verhaltensstörungen bei Hunden führen, insbesondere zu Ängsten, Aggressionen, erhöhter Stressanfälligkeit, verminderter Impulskontrolle etc. Es ist aber nicht immer eine Schilddrüsenfunktionsstörung ursächlich, die zu diesen Verhaltensproblemen führt.

Text: Fabienne Fust und Eva Zaugg   Titelbild: alexei_tm/stock.adobe.com

 

Einflüsse auf das Verhalten von Hunden

Viele Faktoren haben Einfluss auf das Verhalten eines Hundes. So zum Beispiel

  • seine Genetik
  • die Persönlichkeit
  • seine Herkunft, Aufzuchtbedingungen und Vorgeschichte
  • Einflüsse aus dem aktuellen Lebensumfeld
  • unpassende Haltungsbedingungen
  • befriedigte resp. unbefriedigte Grundbedürfnisse (z.B. essen, trinken, sich lösen dürfen, schlafen)
  • die Ernährung

Auffälligkeiten bei Hunden

Körperliche Erkrankungen, Lernerfahrungen sowie die oben exemplarisch aufgezählten Einflüsse können Verhaltensauffälligkeiten verursachen:

  • Stressintoleranz
  • Erregungszustände
  • schlechte Impulskontrolle
  • und erhöhte Reizbarkeit, konkrete und unkonkrete Ängste, Trennungs- und Verluststress
  • konkrete und nicht nachvollziehbare Aggressionen
  • Tics
  • Unsauberkeit
  • Zerstörung von Gegenständen
  • übermässiges Lecken und Kratzen, andere abnorm repetitive Verhalten etc.

Ursachen

Die Genetik, aber auch mögliche Schocks und Traumata, Einflüsse aus dem aktuellen Umfeld eines Hundes (Menschen, andere Tiere, Umgebung), unpassende Erziehungsmethoden, übermässiges Training, zu viel oder zu wenig Beschäftigung und vieles mehr sind ebenso mögliche Ursachen und müssen in einer Behandlung gebührende Berücksichtigung finden, um die Heilung anzustreben. Das physische und psychische Gleichgewicht muss in erster Linie (wieder) hergestellt werden. Die ganzheitliche Betrachtung des Hundes im Heilungsprozess ist deshalb sehr wichtig!

Krankengeschichte erfassen

Eine verhaltensmedizinische Konsultation ist für den Hund und den Hundebesitzer / die Hundebesitzerin ein wichtiger Weg im Heilungsprozess. Es geht insbesondere darum, Erkrankungen oder schmerzhafte Zustände als Auslöser für Verhaltensauffälligkeiten auszuschliessen und gegebenenfalls in eine Therapie oder in ein Training mitein-zubeziehen. Chronische Schmerzen müssen immer ausgeschlossen werden bei Verhaltensproblemen. An Erkrankungen oder Schmerzen muss insbesondere dann gedacht werden, wenn Verhaltensauffälligkeiten plötzlich auftauchen, zum Beispiel:

  • zeigt der Hund plötzlich meidendes, ängstliches Verhalten bei Geräuschen, die bislang kein Problem darstellten
  • reagiert er plötzlich aggressiv auf andere Hunde, Menschen, Gegenstände
  • etc.

Wenn die Auffälligkeiten trotz kontrolliert korrekt umgesetztem und auf das Tier gut angepasstem Training nicht besser oder sogar schlechter werden, ist spätestens zu diesem Zeitpunkt eine verhaltensmedizinische Konsultation angezeigt.

Aber auch sich schleichend einstellende Verhalten wie:

  • ein allgemeiner, schwer beschreibbarer, «diffuser» Leistungsabbau
  • mangelnde oder gänzlich ausbleibende Körperpflege
  • verändertes Fress- und /oder Trinkverhalten
  • minimales oder ganz eingestelltes Erkundungsverhalten (der Hund weicht der Bezugsperson nicht mehr von der Seite) etc.

sollten wahrgenommen sowie professionell abgeklärt und begleitet werden. Dazu braucht es nebst einer genauen klinischen Untersuchung des Tieres häufig eine Blutuntersuchung, manchmal eine Urinuntersuchung und falls nötig weiterführende Diagnostik wie Röntgen, Ultraschall usw.

Ängste, Aggressionen und Stressintoleranz bei Hunden können im Zusammenhang mit einer Schilddrüsenfunktionsstörung stehen.
Foto: alexei_tm/stock.adobe.com

Krankheiten und Verletzungen beeinflussen Verhalten

Viele Krankheiten und auch Alterungsprozesse haben Einfluss auf das Verhalten unserer Hunde, als da wären:

  • Erkrankungen und Verletzungen am Bewegungsapparat (schmerzhafte Knochen, Gelenke, Muskeln)
  • Hauterkrankungen wie Juckreiz oder Ohrenentzündungen
  • Augenkrankheiten, die zu Sehproblemen oder Erblindung führen
  • Gehörverlust
  • hormonelle Einflüsse bei der Hündin während der Läufigkeit und /oder Scheinträchtigkeit
  • Erkrankungen der Nieren oder der Leber
  • Erkrankungen des Nervensystems
  • beginnende oder bestehende Demenz
  • chronische Verdauungsprobleme
  • Infektionskrankheiten
  • Krebs
  • Mangelerscheinungen wie Vitamin- B12-Mangel, Eisen-, Zink- oder Selenmangel etc.
  • Fütterungsart, -qualität und -zeiten
  • und tatsächlich Stoffwechselerkrankungen wie die Schilddrüsenunterfunktion, Erkrankungen der Nebennieren oder der Bauchspeicheldrüse.

Ei oder Huhn? Huhn oder Ei? Was war zuerst da?

Krankheiten und Schmerzen, übermässiger spezifischer und unspezifischer, physischer und psychischer Stress beeinflussen den Hormonstatus. Auch die Schilddrüsenwerte können negativ beeinflusst werden. Nur was war zuerst? Das auffällige Verhalten, die Krankheit, die Schmerzen oder sind tatsächlich die Hormone die Ursache des auffälligen Verhaltens? Dieser Frage muss seriös und breit abgestützt nachgegangen werden.
Bei einem ausführlichen Anamnesegespräch wird auf die Verhaltensstörung eingegangen, auf das Umfeld des Tieres, seine Haltung und Ernährung, den Alltag und die Tagesabläufe, Erziehung bzw. Umgang mit dem Tier sowie auf alle möglichen Einflüsse, die auf das Tier einwirken können.
Dabei geht es insbesondere darum, herauszufinden, weshalb die Verhaltensauffälligkeiten beim Tier entstanden sind und wie am besten damit umgegangen werden kann.

Schilddrüsenproblematik sorgfältig erfassen

Es gibt ausserdem viele Unbekannte bei dem Thema Schilddrüse, wie beispielsweise der Referenzbereich von Normalwerten, unterschiedliche Laborwerte, Dosierungen von Schilddrüsenhormonen. Da diverse andere Erkrankungen, chronische Schmerzen, Medikamente, Hormonstatus u.a. die Schilddrüse negativ beeinflussen können, ist es ausserordentlich wichtig, eine tierärztliche Abklärung machen zu lassen in Form

  • eines eingehenden Gesundheitschecks
  • einer Schmerzabklärung sowie
  • einer umfassenden Blutuntersuchung.

Dieses «Gesamtpaket» sollte zur Bewertung von Laborwerten herangezogen werden. Es ist wichtig, genau hinzusehen, die Art und die Entstehung der Verhaltensauffälligkeiten zu kennen, sich ein persönliches Bild des Tieres zu machen, wobei auch Herkunft, Umfeld, Alltag und Erziehungs- und Trainingsmethoden angeschaut werden müssen.

Von Ferndiagnosen einer Schilddrüsenproblematik einzig anhand von Laborwerten ist dringend abzuraten. Sie sind teilweise unvollständig. Ausserdem ist es wichtig, das Tier persönlich kennen zu lernen, sein Verhalten zu beobachten und es klinisch zu untersuchen. Nur so kann es in seinem Ganzen erfasst werden.

Bei einer allfälligen Substitution mit Schilddrüsenhormonen ist es unabdingbar, den Hund genau zu kontrollieren mittels regelmässiger Blutuntersuchungen, Gesundheitschecks sowie der Beurteilung seines Verhaltens.  

Schilddrüsenhormone sind nicht harmlos

Ein unsachgemässer und unkontrollierter Einsatz von Schilddrüsenhormonen kann zu sehr belastenden bis hin zu gefährlichen Nebenwirkungen führen, die keinesfalls unterschätzt werden dürfen! Es sind dies allerlei Symptome wie

  • Durchfall
  • Erbrechen
  • Gewichtsverlust
  • vermehrter Durst
  • Rast- und Ruhelosigkeit
  • Reaktivität
  • Aggressionen
  • Herzprobleme
  • neurologische Symptome
  • Beeinträchtigung anderer Organe

Durch die Förderung der Durchblutung könnte ausserdem ein Wachstum bestehender Tumore angeregt werden.

Hund ist körperlich gesund. Und nun?

Es lohnt sich, bei Verhaltensauffälligkeiten eines Hundes genau hinzusehen und Ursachen mit fachkundiger Begleitung anzugehen. Wo Ursachen tatsächlich vorhanden sind, werden diese professionell, breit abgestützt betreut. Bestehende Erkrankungen müssen tierärztlich angegangen werden. Sind aber keine gesundheitlichen, klinischen Probleme vorhanden, der Hund ist gesund, dann sollte Folgendes  überprüft und optimiert werden:

  • der Umgang mit dem Tier
  • die Art, Qualität sowie Quantität von Trainings und Beschäftigungen
  • bei Bedarf Anpassen der Ernährung
  • genügend Raum für ausreichend Schlaf- und Ruhezeiten und
  • einfach Hund sein dürfen

Nicht selten auch ist weniger oder anderes Training, eine andere Trainingsmethode einfach eindeutig mehr, um (belastete) Situationen zu entlasten und mehr Lebensqualität zu schaffen.

Leben mit dem Individuum Hund

Man kann aber vielleicht auch versuchen, seinen Hund mit dessen Verhaltensproblemen bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren. Besonders wenn diese kein Leib und Leben anderer gefährden.

Vielleicht sind einfach geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, eigene Vorstellungen zum Leben mit Hund zu überprüfen und zu revidieren. Ein bulgarischer Strassenhund beispielsweise, der neu in einer Grossstadt leben soll, wird eher nicht oder nur sehr schwer in jeder Situation zum generell gelassenen, souveränen Alltagsbegleiter werden. Er wird wahrscheinlich nicht Freude daran haben, in jedes Restaurant und jede Strassenbahn geschleppt zu werden. Gerade Hunde aus dem Auslandtierschutz, die oftmals in ihrer Prägung nicht viele Reize kennengelernt und/oder belastende Lernerfahrungen gemacht hatten, werden in unseren dicht besiedelten, hektischen und mit zunehmendem Leinenzwang belegten Breitengraden häufig einfach überfordert und damit stressintolerant.

Ängste, Aggressionen, mangelnde Impulskontrolle sowie Stressintoleranz rühren also nicht zwingend von gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dann können solche – meist menschlich verursachten oder mindestens mitgestalteten – Probleme auch nicht durch die Gabe von Schilddrüsenhormonen behoben werden.

Literaturempfehlung

Renate Albrecht, Michaela Ender
Schmerzen beim Hund, Erkennen – Behandeln – Lindern
ISBN 978-3-275-02034-8

Anders Hallgren
Stress, Angst und Aggression beim Hund
ISBN 978-3-8404-8903-7

Martina Scholz, Clarissa von Reinhardt
Stress bei Hunden
ISBN 978-3-936188-04-2

Rolf C. Franck, Madeleine Grauss
Hab keine Angst, mein Hund
ISBN 978-3-86127-760-6

Maria Hense
Der hyperaktive Hund
ISBN 978-3-936188-55-4

Maria Hense, Christina Sondermann
Perspektivwechsel – Positive Psychologie für Hunde
ISBN 978-3-8404-2035-1

Beate Zimmermann
Schilddrüse und Verhalten
ISBN 978-3-9810821-5-9