Richtiges Verhalten bei Verkehrsunfälle mit Wildtieren

Verkehrsunfälle mit Wildtieren – Richtiges Verhalten im Schadensfall

Jedes Jahr werden auf Schweizer Strassen über 8000 Rehe, 6000 Füchse und 3000 Dachse sowie noch viel mehr kleinere Wildtiere getötet. Oftmals verletzen sich bei diesen Unfällen auch Menschen und es entstehen erhebliche Fahrzeugschäden. Wildtiere erkennen Autos oder Motorräder in der Regel nicht als Gefahr, wenn sie Strassen auf der Suche nach Futter, bei Streifzügen mit ihren Jungen oder auf der Flucht überqueren. Wer ein Wildtier an- oder überfährt, hat – auch wenn ihn keine Schuld trifft – verschiedene Rechtspflichten zu beachten.

Text: Dr. iur. Gieri Bolliger und Dr. iur. Michelle Richner   Titelbild: hykoe/stock.adobe.com

Nicht ohne Grund werden an Orten mit regem Wildwechsel Warnschilder aufgestellt. Rehe lecken im Winter gerne Salzreste am Strassenrand, und im Sommer nutzen Amphibien und Reptilien die warmen Strassen zum Wandern und überqueren sie in der Nacht – vor allem bei Regen – in grosser Zahl. Tritt ein Tier unvermittelt auf die Fahrbahn, hat man als Motorfahrzeuglenker meist keine Möglichkeit mehr, rechtzeitig abzubremsen oder auszuweichen. Um Kollisionen zu vermeiden, sollte man die Aufmerksamkeit für Wildtiere vor allem am frühen Morgen, in der Dämmerung sowie nachts – insbesondere bei Vollmond – somit zusätzlich erhöhen.

Pflicht zur angepassten Fahrweise

Das Strassenverkehrsgesetz verpflichtet alle Verkehrsteilnehmer, ihre Geschwindigkeit den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Bemerkt man ein Wildtier in Strassennähe, muss das Tempo daher sofort gedrosselt werden. Zudem muss man stets darauf vorbereitet sein, dass dieses plötzlich die Strasse betritt. Befindet sich das Tier bereits auf der Fahrbahn, sollte man hupen und sofort auf Abblendlicht umstellen, weil geblendete Tiere oftmals einfach stehen bleiben. Zudem sollte man die Warnblinker einschalten und wenn möglich anhalten. Häufig folgt dem ersten Tier, das die Strasse überquert, nämlich ein zweites und ein drittes.

Notbremsung ist erlaubt

Bremsmanöver sind beim plötzlichen Auftauchen von Hindernissen eine intuitive Reaktion. Ein brüskes Abbremsen ist zwar nur im Notfall gestattet. Nicht nur das unvermittelte Auftauchen eines Menschen, sondern auch jenes eines Tieres stellt aber eine solche Notfallsituation dar. Das Bundesgericht hat bereits im Jahr 1989 entschieden, dass von Autolenkern nicht erwartet werden kann, einfach zuzufahren, wenn ein Tier plötzlich auf die Strasse tritt. Kommt es wegen einer für ein Wildtier vorgenommenen Notbremsung in der Folge zu einer Auffahrkollision, liegt dies meist am zu geringen Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs. Allfällige Schäden sind in solchen Situationen vom auffahrenden Fahrzeuglenker (beziehungsweise allenfalls von dessen Motorfahrzeugversicherung) zu tragen.

Sicherung der Unfallstelle und Meldung

Vermag ein Verkehrsteilnehmer nicht früh genug zu bremsen und kommt es dadurch zu einer Kollision mit einem Wildtier, entscheidet oftmals rasches Handeln über dessen weiteres Schicksal. Fahrzeuglenker sind aufgrund des Strassenverkehrsgesetzes zuerst einmal verpflichtet, sofort anzuhalten und die Unfallstelle mit dem Pannendreieck zu sichern, weil die eigene Sicherheit und jene der anderen Verkehrsteilnehmer Priorität hat.

Anschliessend muss unverzüglich der Wildhüter beziehungsweise Jagdaufseher oder die Polizei (Telefonnummer 117) verständigt und am Unfallort deren Eintreffen abgewartet werden. Die Polizei bietet sofern nötig die erforderlichen Spezialisten auf, um verletzte Tiere zu pflegen und allenfalls von ihren Leiden zu erlösen oder tote Tiere fachgerecht zu entsorgen. Tote Tiere sind möglichst von der Strasse zu entfernen, damit andere Verkehrsteilnehmer nicht behindert werden. Ist ein Tier lediglich verletzt, sollte man sich ihm hingegen auf keinen Fall nähern, weil dies seine Angst und seinen Stress zusätzlich verstärken und zu weiteren unerwarteten Reaktionen führen kann.

Ein Unfall muss auch dann gemeldet werden, wenn ein verletztes Tier geflohen ist. Dieses könnte sich sonst entkräftet in ein Versteck zurückziehen und allenfalls erst Tage später unter grossen Qualen verenden. Wichtig ist deshalb, dass die Stelle der Kollision markiert wird, um dem Wildhüter damit die Suche mit einem sogenannten Schweisshund zu erleichtern. Der Hund nimmt dann am Unfallort die Spur des angefahrenen Wildtieres auf, sodass der Wildhüter (oder je nach Kanton auch ein Jäger) dieses finden und nötigenfalls erlösen kann.

Strafverfahren bei Missachtung der Meldepflicht

Wird ein Wildtier bei einer Kollision getötet, hat dies für den Unfallverursacher in der Regel keine strafrechtlichen Konsequenzen, sofern keine Verkehrsregeln missachtet wurden. Kommt man seiner Meldepflicht nach, hat man deshalb keine Busse zu befürchten und auch keinen Schadenersatz für das verletzte oder tote Tier zu leisten. Wer hingegen einfach weiterfährt, macht sich nach dem Strassenverkehrsgesetz wegen Unterlassens einer Unfallmeldung strafbar und muss mit einer Busse von bis zu 10'000 Franken rechnen.  

Wird das Wildtier bei einer Kollision verletzt und stirbt infolge davon allenfalls sogar, droht dem Fahrzeuglenker zudem ein Verfahren wegen Tierquälerei durch Unterlassen, weil er eine Misshandlung und  möglicherweise sogar den qualvollen Tod des Tieres verschuldet hat. Durch die pflichtwidrige Unterlassung der Unfallmeldung hat er das Tier nämlich der Gefahr ausgesetzt, unnötig lange an seinen Verletzungen leiden zu müssen, weil ihm niemand helfen oder es erlösen konnte.

Eigentum an angefahrenen Wildtieren?

Tote und je nach kantonaler Regelung auch kranke oder verletzte Wildtiere werden als sogenanntes Fallwild bezeichnet. In Kantonen mit  Revierjagdsystem (etwa in Aargau, St. Gallen und Zürich) gehören sie dem Pächter des Jagdreviers, das heisst der Jagdgesellschaft, die in einem Gebiet während einer bestimmten Periode das Jagdrecht ausübt. In Kantonen mit Patentjagdsystem (so zum Beispiel in Bern, Graubünden, Tessin oder Wallis) ist die Ausübung der Jagd auf dem gesamten Kantonsgebiet erlaubt, jedoch an ein Jagdpatent des Jägers gebunden. Hier fällt Fallwild ins Eigentum des Kantons.

Für ein verletztes oder getötetes Wildtier muss man üblicherweise – das heisst, wenn kein Privatbesitz am Tier besteht – keinen Schadenersatz bezahlen. Anders sieht die Situation bei einem Unfall mit einem Heimtier aus; hier muss der Eigentümer in der Regel entschädigt werden. Auf keinen Fall darf ein totes oder verletztes Tier nach einem Unfall einfach mitgenommen werden; dies wäre strafbar. Wildtiere dürfen nicht ohne Weiteres privat gehalten werden, auch dann nicht, wenn man sie in guter Absicht pflegen möchte.

Versicherung zahlt nur bei korrekter Meldung

Zu beachten ist weiter, dass Motorfahrzeugversicherungen den bei einem Tierunfall entstandenen Schaden nur übernehmen, wenn dieser korrekt gemeldet wurde. Das heisst, dass noch vor Ort unbedingt ein  Unfallprotokoll erstellt werden muss, in dem der Hergang der Kollision so genau wie möglich geschildert wird. Das Protokoll ist mit einer Skizze des Unfallorts, allfälligen Fotos oder Zeugenaussagen zu ergänzen und vom Wildhüter oder von einem Polizeibeamten unterzeichnen zu lassen.

Stiftung für das Tier im Recht (TIR)

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